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Billie Marten & „Flora Fauna“: Charakterwachstum

Billie Marten & „Flora Fauna“: Charakterwachstum

Billie Marten schmückt ihre neusten Gedanken mit allerhand Instrumentalisierung.

Plötzlich ist es wieder lange hell draußen, der Frühling schon fast ganz an uns vorbeigezogen, die Euphorie über den nahenden Sommer hält sich gedeckt. Das dritte Studioalbum von Billie Marten untermalt diesen komischen Limbo ziemlich gut.

Mit „Flora Fauna“ schafft sie einen geerdeten, modernen Folk-Sound, gereift und verspielt, ohne meiner Grundstimmung vorauszueilen. Man wird sich schnell vom alten Minimalismus des Billie Marten-Sounds verabschieden müssen, sobald man in das Album abtaucht oder auch nur den großen Zeh reinhält. Vielschichtig wie nie sind die Tracks, mit großen Bandmomenten und liebevollen Zusatzelementen.

Zwar ist es jetzt länger hell draußen, dunkel wird es dennoch irgendwann. Die verordnete Ausgangssperre ist nun wieder Geschichte, doch ist sie das wirklich? In „Human Replacement“ erinnert Marten die Hörenden ganz unverhohlen daran, wie scheiße es ist, als Frau abends noch unterwegs zu sein. Der Sound ist rau, eckig, kantig, gitarrensolig. Ich denke an Sarah Everard, die junge Britin, die an einem lauen Märzabend diesen Jahres nur nach Hause gehen wollte und dort niemals ankam, weil ein Londoner Polizist sie umbrachte.

Ich denke an meine eigenen Erfahrungen, viele ganz weit von meinem Bewusstsein verdrängt, um nicht 24/7 am Rad zu drehen. Und dann sehe ich das Musikvideo zum Song und muss lachen, weil Billie Marten im Panzer zum Späti fährt. Wie oft ich schon unter abendlichem Limo-Entzug leiden musste, weil ich so ein Gefährt nicht zur Verfügung hatte.Und dann singt sie wieder:

You’re just not safe in the evening / Walking around, you could be taken

Doch „Flora Fauna“ hat auch seine zarteren Seiten – nein, anders: Insgesamt hat es sogar ziemlich viele verschiedene Dimensionen, strotzt nur so vor dem sich entfaltenden Charakter der Künstlerin. Es sei ein Album über die Erkenntnis, „sich selbst zu genügen und sich von toxischen Beziehungen zu befreien“ und vielleicht auch deshalb der Grund, wieso ich mich so gut reinfühlen kann.

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Es geht um die eigene Identität („Kill the Clown„) und die Realisation gesellschaftlicher Scheinwahrheiten („Pigeon„), um die Reflektion vergangener Beziehungen („Heaven„) und der Beziehung zu sich selbst (Got a war with my body / Never win never lose / Evidencing the feeling / That I like to be used – „Ruin„). Und in dem ganzen auf eigenen Beinen stehen auch wieder die Rückbesinnung zu elterlichen Weisheiten („Aquarium„).

All die Songs immer wieder geschmückt mit Metaphern und Anekdoten der Flora und Fauna. Es mag kitschig und abgedroschen klingen, aber es ist schön mit anzuhören, wie Billie Marten in ihren Songs wächst und blüht und dabei auf eine äußerst ehrliche Weise ihre Gefühle teilt.

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